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Wolfacademy - Die etwas andere Hundeschule

Märchen aus dem Buch "Indianermärchen" von Karl Knortz

 

Einst trafen sich am Ufer des Flusses Nass die Wölfe der ganzen Gegend, um sich mit Spiel und anderer Kurzweil die Zeit zu vertreiben. Sie kamen in ganzen Rudeln, junge und ältere, ja, nicht einmal der Graue Wolf, der alte Griesgram, war zu Hause geblieben.

Anfangs sangen sie ihre langgedehnten Wolfslieder in Ruhe und Ordnung, aber nach und nach wurde eine solche Katzenmusik daraus, dass sich die anderen Tiere des Waldes die Ohren zuhielten und wie von Sinnen über Stock und Stein liefen, um nichts mehr davon zu hören.

Die meisten Fische verkrochen sich unter Sand und Steinen, aber die Lachse, die sich lieber unter dem Wasserspiegel tummelten, übersprangen Stromschnellen und Wasserfälle und flüchteten stromaufwärts, um dem ohrenbetäubenden Geschrei am Ufer zu entgehen. Wie es heißt, hat der Lachs damals erst gelernt, über Stromschnellen zu springen und auch jedes andere Hindernis spielend zu überwinden.

Nicht einmal der Sonne wollte das Geheule der Wölfe gefallen. Sie legte sich an jenem Tag besonders früh schlafen und mummelte sich bis zum Kinn hinauf in rosige Abendwolken ein, denn auch sie wollte Ruhe haben. Aber dafür ließ sich der neugierige Mond von dem Wolfsgesang bis zu den Wipfeln der Tannen locken. Die Wölfe verdoppelten ihre Anstrengungen endlich hatten sie einen dankbaren Zuhörer gefunden!

Freilich dauerte es nicht allzu lange, und die Meute war so heiser geworden, dass sie sich nach einem anderen Vergnügen umsehen musste. Und wie das bei derartigen Zusammenkünften so üblich ist, fingen sie schließlich an, längst vergessene Heldengeschichten zu erzählen. Manch alter Krieger zeigte den jungen Wölflein seine Narben, Erinnerungen an Wunden, die er in ruhmreichen Kämpfen davongetragen hatte. So saßen sie lange und erzählten, bis der Nebel über dem Fluss aufstieg. Um diese Zeit kamen die Hirsche ans andere Ufer. Der Wind trug die Worte der Wolfsgeschichten an ihre Ohren, und sie konnten sich nicht helfen, sie mussten laut herauslachen, denn die Tiere glauben nur Geschichten, die ihnen ihre eigenen Stammesgenossen erzählen.

Gerade als das Gelächter seinen Höhepunkt erreicht hatte, rief eine Stimme über den Fluss: „Wer wagt es, die tapferen Wölfe zu verhöhnen?" Da mussten sich die Hirsche den Bauch halten vor Lachen, und die Wölfe warteten vergebens auf Antwort. Da der Nebel sehr dicht war, hatten die Hirsche vor den Wölfen nicht die mindeste Angst, aber da kam plötzlich die Sonne, rieb sich die Augen, und mit dem Nebel war es vorbei.

„Hirsche! Hallo, Hirsche!“ riefen die Wölfe. Und spotteten: „Ihr könnt ja nicht einmal richtig lachen! Guckt euch das an! Ha ha ha!“ Dabei fletschten sie die Zähne, dass sich die Sonnenstrahlen darin spiegelten und das Echo durch den Urwald hallte.

„Jetzt wir!“ schrien die Hirsche: „Hmhm, hmhm, hm... “ Dieses unterdrückte Lachen bei geschlossenen Kiefern reizte die Wölfe noch mehr zum Spott: „Ha-ha-ha! Wenn ihr lachen wollt, wie sich's gehört, müsst ihr die Mäuler aufreißen!" „Hmhm, hmhm, hm...“ machten die Hirsche wieder, und erst jetzt sahen die Wölfe, dass das Gebiss ihrer Widersacher sehr dürftig war.

Aha, also deshalb können sie nicht anständig lachen! Bei dem Gedanken an die sichere Beute lief ihnen das Wasser im Munde zusammen. Sie sprangen in den Fluss und schwammen ans andere Ufer. Die Hirsche ergriffen die Flucht. Sie stoben nach allen Richtungen auseinander, aber die Wolfsmeute blieb ihnen auf den Fersen und verfolgt sie bis heute. Denn seit jener Zeit wissen die Wölfe, dass ihnen die Hirsche mit ihrem unvollkommenen Gebiss nicht gewachsen sind und daher spielend von ihnen erjagt werden können.
 

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